„Der assistierte Suizid“ – Eine kleine „Denkschrift“

Hospizliche – psychosoziale – Begleitung ist keine Sterbehilfe! Sie ist eine Lebensbegleitung, denn Sterben ist (noch) ein Teil des Lebens.

Viele Menschen sterben in einem hohen Alter, in einem natürlichen Prozess, weil die physischen und psychischen Kräfte allmählich abnehmen, auch weil der Mensch im wahrsten Sinne der Worte lebenssatt oder lebensmüde geworden ist.

Ein früher Tod ist häufig die Folge einer schweren Erkrankung oder Beeinträchtigung, und oft bedarf es nicht nur in der letzten Lebensphase einer intensiven medizinischen und pflegerischen Versorgung, die schließlich bisweilen eine palliative sein kann und wird. Wenn nach ärztlichem Ermessen eine Heilung nicht mehr erreichbar ist, können die belastenden Symptome zumeist medikamentös gelindert werden. Eine gute Versorgung im Sinne einer umfassenden „Palliative Care“ ist eines der wichtigen Anliegen der Hospizbewegung. Der durchaus verständlichen Angst, „unerträglich und grausam“ leiden zu müssen, kann in den meisten – nicht in allen – Fällen durch die Zusage einer optimalen medizinischen Versorgung begegnet werden.

Palliative Care bedeutet nicht in jedem Fall, eine Verlängerung des Lebens unter Einsatz intensivster und Geräte-Medizin zu erreichen (Stichwort „Übertherapie“), sondern dazu beizutragen, dass die gegebene Lebenszeit würdevoll gestaltet wird.

Vereinzelt, ganz selten, gelingt es nicht, mit Medikamenten das unerträgliche oder als unerträglich empfundene Leiden zu lindern, so dass der Todeswunsch verständlich erscheinen und akzeptiert werden kann.

Etliche Menschen empfinden es als Ausdruck persönlicher Freiheit und fordern auch das Recht ein, den Zeitpunkt ihres Todes möglichst selbst zu bestimmen und zu gestalten.

In der hospizlichen Arbeit ist uns kein Geschehen und keine Wunsch- oder Willensäußerung am Lebensende fremd.

Wir haben uns mit allen Aspekten zu befassen und uns eventuell zu positionieren.

Dabei sind, je nach Sozialisierung und religiöser / weltanschaulicher Orientierung, unterschiedliche Überzeugungen und Aussagen zu erwarten; ein Grund, etwas genauer hinzuhören und hinzuschauen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

Die (aktive) „Sterbehilfe“, die „Tötung auf Verlangen“ ist nach § 216 des Strafgesetzbuches verboten; schon der Versuch wird empfindlich bestraft. Also: Kein Thema für Hospizdienste!

Anders gestaltet es sich in Sachen „Beihilfe zum Suizid“ / „assistierter Suizid“, bei dem Mittel / tödlich wirkende Präparate auf Wunsch des Suizidenten bereit gestellt werden, der Betroffene aber die letzte Handlung selber ausführen muss, weil er sich eventuell noch in der letzten Sekunde neu und anders entscheiden kann und können muss.

Die Diskussion über die Frage, wie sich Hospizdienste zum assistierten Suizid verhalten sollten, hat vor kurzer Zeit eine neue Dynamik gewonnen.

Der Bundesgesetzgeber hatte 2015 durch Änderung des § 217 Absatz 1 des Strafgesetzbuches die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe gestellt, obwohl bereits seinerzeit vielfach auf eine wahrscheinliche Verfassungswidrigkeit dieser Regelung hingewiesen worden war.

Infolge etlicher (zu erwartender) Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 die Norm für verfassungswidrig und nichtig erklärt.

(Die Lektüre des knapp 100 Seiten langen Urteils – mit Begründung – ist zu empfehlen.)

Dies bedeutet:
Die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung ist nicht verboten.
Niemand ist zur Beihilfe verpflichtet.
Der Gesetzgeber darf Vorschriften erlassen, die einen Missbrauch der Freiheit verhindern sollen.

Wegen der „Gratwanderung“ (Welche Regeln halten einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung stand?) ist das Parlament mutmaßlich (noch) zurückhaltend.

Die Herausforderung / Frage:
Wie verhalten wir – Hospiz-Verein Springe – uns angesichts der gegenwärtigen Rechtslage einerseits und der „Unsicherheiten“ andererseits?

„Hospizliche Haltung“ meint „Gestaltung eines würdevollen Lebens bis zum letzten Atemzug“.

In der Folge der Erarbeitung der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ wurde mit dem Hospiz- und Palliativgesetz (2015) und vielen anderen Gesetzen in unterschiedlichen Rechts- und Sachgebieten Vieles erreicht. Der „Blick auf die Gesellschaft“ führt uns jedoch vor Augen, dass zum „Recht auf Leben“ (gesellschaftlich, sozial, kulturell, wirtschaftlich …) noch Vieles fehlt. „Alle“, an vielen Orten und in unterschiedlichsten Positionen, sind aufgerufen, individuell und kollektiv, zur Verbesserung der Verhältnisse beizutragen.

Das „Recht auf Leben“ braucht die gleiche verfassungsrechtliche und gesellschaftliche Würdigung wie das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“.

Die Debatte dazu bleibt eine Dauer-Herausforderung. In diesem Dokument kann und soll diese Diskussion nicht vertieft werden.

Wie aber gehen wir in konkreten Fällen mit Sterbewünschen und Todessehnsucht von Menschen um?

Keine Förderung der Selbsttötung durch Beschaffung / Bereitstellung von Medikamenten / Präparaten / Hilfsmitteln durch im Hospiz-Verein hauptamtlich oder ehrenamtlich mitarbeitende Menschen!
Dies wäre mit der hospizlichen Haltung zum Lebensschutz nicht vereinbar.
Auch wird die Gefahr einer psychischen Belastung / Überlastung mit der Folge einer Erkrankung der Mitarbeitenden gesehen. (Kritiker der Beihilfe zum Suizid legen das Verhalten in der Förderung / Vorbereitung als eine inzwischen zwar juristisch erlaubte, aber ethisch „problematische“ Beteiligung an einem Tötungsakt aus.) Auch im Nachhinein aufkommende Zweifel können starke psychische Auswirkungen haben. Der Verein / Der Vorstand hat eine Fürsorgeplicht für die in seinem Bereich tätigen Menschen und sieht die Verpflichtung, diesbezüglich präventiv Belastungen zu vermeiden.

Aufnahme einer Begleitung oder Fortsetzung einer Begleitung, wenn die Entscheidung getroffen wird, per Suizid aus dem Leben scheiden zu wollen?

Handelt es sich um eine „freie“ Entscheidung, aus welchen Gründen auch immer, verbunden mit dem Wunsch, an der Hand eines Menschen sterben zu wollen?

oder:
Entscheidet sich ein Mensch mit einem unerträglichen und grausamen Leiden, in einem von ihm als entwürdigend empfundenen Zustand, zum Suizid?

Niemand ist verpflichtet, eine (bestimmte) Begleitung zu übernehmen!

Manche(r) wird eine Begleitung in einer konkreten Situation abbrechen wollen, weil die Entwicklung aus persönlichen Überzeugungen nicht mitgetragen werden kann oder zu einer psychisch nicht tragbaren Belastung werden würde / könnte.

In Gesprächen mit einigen Begleitenden aus verschiedenen Diensten war zu vernehmen, dass (wahrscheinlich) Begleitungen übernommen oder fortgesetzt würden, wenn man persönlich die Beweggründe der Begleiteten verstehen und / oder akzeptieren könne.

Nach Inkrafttreten des § 217 Absatz 1 StGB (2015) wurde – auch unter Würdigung der seinerzeitigen Gesetzeslage – eine recht restriktive Haltung eingenommen: Zwar wurde im Einzelfall einer (rechtlich nicht verbotenen) Beihilfe zum Suizid die Begleitung des Suizidenten durch Ehrenamtliche nicht ausgeschlossen, jedoch sollte die Begleitung „nicht im Namen des Vereins“ erfolgen und gegebenenfalls sei eine Sanktionierung des Verhaltens der begleitenden Person zu prüfen.

In der Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020, dem – nach repräsentativen Umfragen – eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung zustimmt, war der Wunsch zu vernehmen, sowohl die Freiheit zu bekommen, Suizidenten begleiten zu dürfen, als auch weitergehend die Begleitung „getragen durch den Verein“ durchführen zu können.

Diesem Ansinnen sollten wir entsprechen.

Um den besonderen Herausforderungen der speziellen Situationen gerecht zu werden, ist allerdings eine sehr engmaschige interne Begleitung durch die Koordinationsfachkräfte und den Vorstand geboten, deutlich über die allgemeinen Kontakt- und Berichtspflichten hinaus.

Es bleibt selbstverständlich bei dem vorrangig zu verfolgenden Anliegen des Lebensschutzes (Gesprächs- und Beratungs-/Informationsangebote) und dem Ziel, dem Recht auf Leben die gebotene Geltung zu verschaffen.

Zugleich wird die Individualentscheidung des zu begleitenden Menschen – unter Achtung dessen persönlichen Würdebegriffs / dessen persönlicher Werteentscheidung (Wie möchte ich leben? / Unter welchen Umständen möchte ich nicht weiterleben?) – respektiert, ohne die hospizliche Grundhaltung infrage zu stellen.

In der ethischen Befassung werden – je nach Sichtweise, Prägung und Grundverständnis der Diskutanten – mancherlei Argumente gegen ein Engagement „im Umfeld des assistierten Suizids“ ins Feld geführt. Zugleich sei angemerkt, dass auch die christliche / religiöse Ethik durchaus die Rechte des einzelnen – sich selbst in größter Sorge verantwortlichen und entscheidenden und schützenden – Menschen sieht, achtet und anerkennt. In manchen Situationen kann und wird es ein Akt der Barmherzigkeit sein anzuerkennen und zu akzeptieren, dass sich jemand nicht (weiter) einem unerträglichen und grausamen Leiden, das er als solches für sich wahrnimmt und unter dem persönlichen Würdeverständnis bewertet, aussetzen möchte.

Es gibt Situationen, in denen auch prinzipielle Bedenken ohne Not und Sorge um das Recht auf Leben im Allgemeinen zurückgestellt werden dürfen.

Auch stellt sich die Frage der Außenwirkung, wenn Begleitungen bis zu einem Suizid durch Ehrenamtliche unseres Vereins wahrgenommen werden. In solch einem Fall sollte unser Tun und Handeln offensiv vertreten und das christliche ( nicht kirchliche ) Menschenbild vor den Hospizgedanken gestellt werden. Denn kann es sein, dass wir Menschen in ihrer höchsten Not allein lassen und uns in diesem Moment von ihnen abwenden?

Aus dem vorher gesagten ergeben sich für unseren Hospizverein folgende Leitsätze:

  • Für aktive Sterbehilfe stehen wir nicht zur Verfügung.
  • Wir akzeptieren jede Entscheidung der von uns begleiteten Menschen und maßen uns nicht an, unsere Vorstellung von einem würdigen Sterben an die Stelle der Entscheidung des von uns begleiteten Menschen zu stellen.
  • Über die Begleitung eines Suizidenten entscheidet allein der/die Ehrenamtliche (ggfs. mit Unterstützung der Koordinatorinnen).
  • Jede Entscheidung der ehrenamtlichen Begleiter/innen wird vom Verein, dem Vorstand und den Koordinatorinnen getragen und auch akzeptiert. 
  • Der Verein bietet den ehrenamtlich Tätigen jede Unterstützung an, die notwendig oder sinnvoll erscheint, unabhängig von der getroffenen Entscheidung.